Radsport: Der Giro d’Italia 2015 ist seit gestern Geschichte. Der große Favorit Alberto Contador fährt mit seinem Team Tinkoff-Saxo einen nie wirklich gefährdeten Sieg ein. Doch was passierte sonst noch? Wir blicken noch einmal zurück auf die vergangenen drei Wochen: Spannende Fakten, ikonische Bilder und die besten Zitate.
___ 48,161km/h ___
Das war die atemberaubende Durchschnittsgeschwindigkeit von Lampre-Merida-Fahrer Sacha Modolo bei seinem Tagestriumph nach der 13. Etappe von Montecchio Maggiore nach Jesolo. Damit war er der schnellste Etappensieger in diesem Jahr. Für den 27-jährigen Italiener war es der erste von schlussendlich zwei Tagessiegen. Auch sein Team Lampre-Merida kann mit insgesamt vier gewonnenen Etappen auf eine äußerst erfolgreiche Bilanz beim diesjährigen Giro zurückblicken.
___ „Ich bekam Gänsehaut“ ___
Der 21-jährige Rick Zabel, Sohn von Sprintlegende Erik Zabel, kann auch auf einen wirklich guten Giro zurückblicken – er schaffte es bis nach Mailand und war sogar einmal Teil einer Ausreißergruppe. Am Anfang bekam es der Jungspund verständlicherweise etwas mit den Nerven zu tun. Gänsehaut habe er bekommen als er in San Remo an den Start ging, berichtete er später. Es scheint ihn glücklicherweise nicht zu sehr beeinträchtigt zu haben und wir freuen uns, zukünftig mehr von Rick Zabel zu hören!
Die beiden großen Konkurrenten Alberto Contador (l.) und Fabio Aru (r.) auf dem Weg zum Start in Imola, von wo es in den Radsportort Vicenza ging. In den folgenden Tagen und Wochen sollte das Verhältnis zwischen Astana und Tinkoff-Saxo jedoch deutlich abkühlen – Grund dafür waren vor allem Astanas Teamtaktik am Mortirolo und Contadors Retourkutsche wenige Tage später.
___ 191 ___
191 war die Startnummer von Richie Porte beim diesjährigen Giro. Der Sky-Kapitän ging mit großen Zielen, hohen Erwartungen und vielen Vorschusslorbeeren an den Start. Nachdem er anfangs sehr gut mithalten konnte, nahm der Giro für den Australier bald eine äußerst unglückliche Wendung. Der Knackpunkt kam in der 10. Etappe, wo er unweit des Ziels einen Plattfuß hatte und das Vorderrad von dem zu Hilfe eilenden Landsmann Simon Clarke (Orica-GreenEdge) annahm. Da eine derartige teamübergreifende Hilfe laut UCI-Reglement aber verboten ist, erhielt Porte noch am selben Abend eine 2-minütige Zeitstrafe und fiel deutlich zurück – die Emotionen angesichts der Entscheidung der Rennjury kochten hoch. Von diesem Rückschlag erholte sich der 30-jährige nicht mehr. Nach weiteren Zeitverlusten und einem Sturz gab er schließlich am zweiten Ruhetag verletzungsbedingt auf.
Der Sprintsieg von André Greipel (Lotto-Soudal) bei der 6. Etappe nach Castiglione della Pescaia war sicherlich der Höhepunkt des Giro aus deutscher Sicht. Leider blieb es für den 32-jährigen der einzige Tagessieg und noch bevor der Giro in die hohen Berge ging, verließ er zusammen mit seinen Anfahrern das Rennen um sich auf die weitere Saison vorzubereiten.
___ „Ich hatte eine brutale Krise“ ___
Der Colle delle Finestre war neben dem Mortirolo wahrscheinlich der anspruchsvollste Anstieg der diesjährigen Italien-Rundfahrt. Beinahe wäre es der Ort eines schier unglaublichen Comebacks geworden. Als nämlich der Gesamtführende Alberto Contador während der 20. Etappe an besagtem Anstieg enorme Probleme bekam, schlug die Stunde seiner Verfolger aus den Astana-Reihen: Mikel Landa und Fabio Aru fuhren über zwei Minuten auf den spanischen Tinkoff-Saxo-Profi heraus. Doch da Contador den Schaden schlussendlich doch begrenzen konnte und er ohnehin mit einem riesigen Zeitpolster in die Etappe gegangen war, verteidigte er dann das maglia rosa doch recht souverän – trotz seiner „brutalen Krise“.
Es war die vielleicht emotionalste Zieleinfahrt beim Giro 2015: Der 22-jährige Davide Formolo von Cannondale-Garmin schlug sich nach der vierten Etappe nach La Spezia ungläubig die Hände vor sein Gesicht. Viele hatten auf der flachen Etappe mit einem Massensprint gerechnet, doch Formolo krönte eine beeindruckende Soloflucht mit dem Tagessieg, 22 Sekunden vor seinen Verfolgern.
___ „Saxo macht sich kaputt“ ___
Ryder Hesjedal genießt sowohl bei den Kollegen, als auch bei den Fans eine immense Beliebtheit. Nicht zuletzt liegt es wahrscheinlich auch an dem teils unorthodoxen, oft spektakulären Fahrstil des kanadischen Routiniers. Auch bei den Journalisten ist er ein gerne gesehener Gast, denn der Giro-Sieger von 2012 ist bekannt dafür, selten ein Blatt vor den Mund zu nehmen. So auch kürzlich, als er gegenüber einigen Reportern die Mortirolo-Etappe nochmals Revue passieren ließ – er könne nicht verstehen, wie man sich als Mannschaft derart aufrieb sagte der 34-jährige. Gemeint war natürlich vor allem Tinkoff-Saxo, die das Tempo im Peloton immer wieder forcierten, um Ausreißern keine Chance zu lassen und ihren Favoriten Contador zu schützen. Ganz unrecht hat Hesjedal mit seiner Aussage sicherlich nicht – schaut man auf das abschließende Gesamtklassement, muss man lange nach dem nächsten Fahrer aus den Reihen von Tinkoff-Saxo suchen: Der Tscheche Roman Kreuziger erzielte auf Platz 28 mit einem Rückstand von 1:47:03 das zweitbeste Ergebnis. Dennoch: Durch den Sieg von Contador ging die Taktik voll auf.
___ 23 ___
23 Fahrer beendeten den Giro d’Italia 2015 vorzeitig. Darunter auch prominente Namen wie der bereits angesprochene Richie Porte oder André Greipel. Auch Simon Gerrans bleibt weiter vom Pech verfolgt. Nachdem er sich von zwei Verletzungen rechtzeitig zum Giro erholt hatte, zwang ihn ein Sturz auf Etappe 12 wieder zum Aufgeben. Auch das Ausscheiden des Italieners Domenico Pozzovivo war tragisch: Der ag2r-La Mondiale Profi wurde von einigen als Geheimfavorit gehandelt, stürzte aber während einer Abfahrt auf der dritten Etappe schwer. Minutenlang lag er auf dem Asphalt und erst am Abend kam die leichte Entwarnung: „Nur“ ein Schädeltrauma und einige Schnittwunden hatte er sich zugezogen.
Beinahe wäre nach der sechsten Etappe der Giro für Alberto Contador beendet gewesen. Der spätere Gesamtsieger kugelte sich nach eigenen Angaben bei einem durch einen Zuschauer verursachten Massensturz in der Zieleinfahrt die Schulter aus. Lange Zeit war ungewiss, ob sich das Gelenk rechtzeitig erholen würde – doch schon am nächsten Tag zeigte der Spanier wieder gewohnt starke Leistungen und auch in der Folge schien ihn die Verletzung nicht mehr zu beeinträchtigen. Auslöser war ein über die Absperrung auf die Strecke ragendes Kameraobjektiv, das den Italiener Daniele Colli am Arm traf – der Knochen brach und der 33-jährige stürzte.
___ „Der Auftritt als Team zählt“ ___
Das Team Astana zeigte sich beim Giro völlig unbeeindruckt von der Unruhe rund im die Lizenzvergabe im Vorfeld. Mit fünf Tagessiegen und vier Fahrern in den Top 20 der Gesamtwertung ist die Teambilanz wirklich beeindruckend. Doch gerade die Konstellation mit Kapitän Fabio Aru auf Rang Zwei und Mikel Landa auf Rang Drei erwies sich während der drei Wochen das eine ums andere Mal als kompliziert – insbesondere als Aru am Mortirolo schwächelte und Landa erst am Ende frei fahren durfte. Im Nachhinein beschwört Aru aber den Teamgeist und stellt den Erfolg der Mannschaft gar über den des Einzelnen: „Wir arbeiten in der Mannschaft gut zusammen. Es geht zwar auch um individuelle Ergebnisse, aber vor allem um den Auftritt als Team. Wir als Astana haben hier sehr gut gearbeitet.“ Ob er bei einem Gesamtsieg dieselben Worte gewählt hätte? Wir werden es wohl nie erfahren…
Der Jubelschrei von Fabio Aru nach der 20. Etappe war wohl von Mailand bis Neapel zu hören. Mit einem wahren Gefühlsausbruch fuhr der junge Sarde in Sestriere über die Ziellinie, nachdem er ausgerechnet auf dem unerbittlichen Colle delle Finestre seine Beine wieder gefunden hatte und die Konkurrenz, darunter auch Alberto Contador, deklassierte. Dass dieser sprunghafte Formanstieg für die Gesamtwertung zu spät kam, schien Aru in diesem Moment herzlich egal gewesen zu sein.
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