Test: Der Bosch Performance Line SX ist längst kein Unbekannter mehr im stetig wachsenden Segment der Light-Support-Motoren. Doch auch zwei Jahre nach seiner Einführung bleibt der kompakte Antrieb ein Thema, der oftmals missverstanden wird. Mit einem frischen Software-Update, das das Drehmoment auf 60 Newtonmeter hievt, und dem Versprechen von satten 600 Watt Spitzenleistung, wildert er auf dem Papier in Gefilden, die eigentlich den „Großen“ vorbehalten sind. Wir haben den Motor für die Saison 2025/2026 erneut ins Labor gezerrt, die Leistungskurven seziert und auf den Trails geprüft, ob die Rechnung aus niedrigem Drehmoment und hoher Leistung in der Praxis aufgeht.
Die technische Basis: Bosch Performance Line SX
Bevor wir uns den neuen Messwerten und Testfahrten widmen, lohnt ein nüchterner Blick auf die Hardware. Der Performance Line SX markiert Boschs Eintrittskarte in die Welt der leichten E-Mountainbikes, E-Gravel- und modernen Urban-Bikes. Mit einem Gewicht von rund zwei Kilogramm für den Motor selbst setzt Bosch hier ein klares Statement gegen die hauseigenen Schwergewichte der CX-Klasse und spart ein knappes Kilogramm Gewicht ein. Das Gehäuse besteht aus Magnesium, ist kompakt geformt und ermöglicht Rahmenkonstruktionen, die sich optisch weniger von unmotorisierten Rädern unterscheiden.

Beim Thema Akku setzen die allermeisten Hersteller auf den CompactTube 400 Akku. Mit rund zwei Kilogramm Gewicht und 400 Wattstunden Kapazität bildet er den Sweetspot zwischen Reichweite und Handling-Vorteilen durch geringe Masse. Wer mehr will, kann theoretisch auf 600 oder gar 800 Wattstunden skalieren – eine Option, die im aktuellen Marktangebot in Verbindung mit dem Bosch SX jedoch leider eine Rarität bleibt. Für die meisten SX-Piloten wird daher der PowerMore 250 Range Extender der ständige Begleiter für lange Tage im Sattel sein. Dieser trinkflaschengroße Zusatzakku dockt an den Ladeport an, wiegt 1,6 Kilogramm und erweitert den Radius signifikant.
Das Ökosystem: Bosch spielt seine Stärken aus
Ein Bereich, in dem Bosch mittlerweile wenig Angriffsfläche bietet, ist die Peripherie. Auch beim SX greift das volle „Smart System“-Baukastenprinzip. Vom minimalistischen System Controller im Oberrohr über die kabellose Mini Remote am Lenker bis hin zu den informativen Displays wie dem Kiox 300 oder dem neueren, im Oberrohr integrierten Kiox 400C – die Integrationsmöglichkeiten sind vielfältig. Besonders für sportliche E-Mountainbikes hat sich die Kombination aus Mini Remote und System Controller bzw. Kiox 400C etabliert, da sie das Cockpit clean hält und im Sturzfall weniger exponiert ist.
Die Connectivity über die eBike Flow App setzt nach wie vor Maßstäbe bei der Individualisierung. Die zahlreichen Unterstützungsstufen lassen sich nicht nur in ihrer Stärke, sondern auch in der Dynamik und dem maximalen Drehmoment feinjustieren (zur ausführlichen Analyse). Einzig die direkte Kommunikation mit Garmin-Endgeräten über ANT+ bleibt ein Wunschtraum vieler Nutzer, hier kocht Bosch weiterhin sein eigenes Süppchen und verweist auf die eigene App-Lösung zur Datenerfassung.
Laboranalyse: Das Mysterium der 600 Watt
Kommen wir zum Elefanten im Raum – oder besser gesagt: zur Zahl 600. Bosch bewirbt den SX mit einer Spitzenleistung von bis zu 600 Watt. Wer sich in der Physik von E-Motoren auskennt, wird stutzig: Wie generiert ein 2-Kilo-Motor mit nominell 55 (jetzt 60) Nm Drehmoment eine Leistung, die fast auf dem Niveau eines Performance Line CX liegt? Die Antwort liefert unser aktueller Prüfstandslauf bei PT Labs.
Unsere Messungen zeigen ein differenziertes Bild, das für das Verständnis dieses Antriebs essenziell ist. Bei einer „normalen“ Trittfrequenz von 75 Umdrehungen pro Minute (U/min) und einer moderaten Eigenleistung verhält sich der SX unauffällig. Die Leistungskurve flacht hier bei ca. 320 Watt mechanischer Ausgangsleistung ab. Das ist ein solider Wert für einen Light-Assist-Motor, liegt aber meilenweit von den versprochenen 600 Watt entfernt. Haben die Marketing-Abteilungen hier übertrieben?
Das Geheimnis liegt in der Kadenz
Nein, aber sie setzen ein Sternchen an die Leistung, das man kennen muss. Der Bosch SX belohnt Arbeit. Unsere Kadenz-Kurven belegen eindrucksvoll: Je schneller die Kurbel dreht, desto mehr Leistung gibt das System frei. Während klassische Full-Power-Motoren oft schon bei niedrigen Drehzahlen ihr Pulver verschießen, fängt der SX bei 90 U/min erst an, richtig wach zu werden. Die Kurve steigt konstant an und erreicht ihren Zenit erst jenseits der 110er Kadenz.
Um die mystischen 600 Watt (oder in unseren Messungen knapp 560 Watt reine Motorleistung) freizusetzen, bedarf es einer spezifischen Situation: Einem sogenannten dynamischen Boost. Wir konnten dieses Szenario auf dem Prüfstand reproduzieren, indem wir die Trittfrequenz schlagartig von 70 auf 140 U/min erhöhten und gleichzeitig die Eigenleistung auf 250 Watt steigerten. In diesem Moment öffnet die Software die Schleusen. Für einen begrenzten Zeitraum schießt die Leistungskurve nach oben und übertrifft kurzzeitig sogar die Werte, die wir bei manchen CX-Motoren im Standard-Setting gemessen haben.
Dies ist kein Fehler, sondern ein Feature. Bosch hat den SX so programmiert, dass er Spitzenleistungen genau dann abruft, wenn der Fahrer sie intuitiv anfordert: An kurzen, giftigen Rampen oder technischen Stufen, wo man automatisch runterschaltet und die Trittfrequenz erhöht.
Thermisches Management: Ein Tanz auf dem Vulkan
Wo viel Energie auf kleinem Raum umgesetzt wird, entsteht Wärme. Das Derating – also die Leistungsreduzierung zum Selbstschutz vor Überhitzung – ist bei kompakten Light-Assist-Motoren ein kritisches Thema. In unserem standardisierten Belastungstest (250 Watt Eigenleistung, 75er Kadenz) zeigte der SX ein Verhalten, das wir als „Bosch-typisch“ bezeichnen würden: Es gibt keinen harten Cut-off, sondern ein sanftes Ausfaden der Leistung.
Nach etwa zehn bis 15 Minuten unter Volllast beginnt die Kurve langsam zu sinken. Der Leistungsverlust beträgt rund 10 bis 15 Prozent. Das ist in der Praxis kaum spürbar, aber die thermische Kamera offenbart, was im Inneren vor sich geht. Das Magnesiumgehäuse erreichte in unserem Test Temperaturen von bis zu 100 Grad Celsius. Das zeigt: Der Motor operiert hier am absoluten Limit. Unser Testrad, ein Orange Phase Evo, verfügte über einen Aluminiumrahmen, der die Wärmeableitung begünstigt. Bei einem Carbonrahmen, der thermisch stärker isoliert, könnte das Derating früher und deutlicher einsetzen. Wer im Hochsommer bei 30 Grad und 90 Kilo Systemgewicht lange Alpenpässe im Turbo-Modus erklimmen will, sollte Pausen einplanen – der SX wird sie brauchen. Zumal wir unseren standardisierten Test bei einer für den SX nicht optimalen Kadenz von 75 durchgeführt haben. Wer länger mit höherer Kadenz (und damit höherer Leistung) unterwegs ist, wird schneller in den roten Bereich kommen.
Praxistest: Bosch Performance Line SX
Genug der Theorie. Wie fühlt sich dieses technisch komplexe Zusammenspiel aus Kadenz, Boost und Software auf dem Trail an? Wir haben das System über die Jahre in verschiedensten Terrains bewegt, vom flowigen Mittelgebirgs-Trail bis zum verblockten Anstieg.
Fahrgefühl und Ansprechverhalten
Hier spielt Bosch seine langjährige Erfahrung aus. Das Ansprechverhalten ist sensationell. Der Motor klebt förmlich am Pedal. Es gibt keine spürbare Verzögerung zwischen Kurbelbewegung und Motorunterstützung. Das System wirkt organisch, vorhersehbar und extrem gut dosierbar. Besonders in technischen Uphill-Passagen, wo Traktion wichtiger ist als rohe Gewalt, ist der SX eine Macht. Features wie der „Extended Boost“ (das kurze Nachlaufen des Motors, wenn man die Pedale stoppt, um über ein Hindernis zu rollen) funktionieren im eMTB-Modus so präzise wie beim großen Bruder CX.
Das Update auf 60 Newtonmeter
Macht das Update auf 60 Nm und die Anhebung der maximalen Unterstützung auf 400 Prozent einen Unterschied? Ja und nein. Wer erwartet, dass aus dem SX plötzlich ein CX wird, wird enttäuscht. In der Ebene oder bei moderaten Steigungen ist der Unterschied marginal und geht fast in der Messtoleranz unter. Doch in Grenzsituationen, etwa wenn man am Berg in einem etwas zu schweren Gang „verhungert“, bietet das Update spürbar mehr Reserven. Es ist kein Gamechanger, der den Charakter des Motors neu definiert, aber es schärft das Profil und macht den Antrieb im Grenzbereich fehlerverzeihender.
Für wen ist dieser Motor?
Der Bosch SX ist der Light-Assist-Motor, der einem Full-Power-Antrieb am nächsten kommt – vorausgesetzt, man ist bereit, dafür zu arbeiten. Er verlangt nach einer aktiven Fahrweise. „Lazy Shifting“ wird bestraft. Wer mit 60er Kadenz den Berg hochdrücken will, wird gnadenlos verhungern. Der Motor braucht Drehzahl wie ein Rennwagen. Wer vom klassischen Mountainbike kommt und eine sportliche Fahrweise pflegt, wird den SX lieben. Er belohnt Fitness und saubere Schaltvorgänge mit einer Spritzigkeit, die süchtig macht. Wer hingegen vom E-Bike kommt und das „Shuttle-Feeling“ sucht, ist hier falsch.
Akustik und Effizienz: Licht und Schatten
Kein Test ohne Kritikpunkte, und beim SX können diese durchaus schwer wiegen, je nach persönlicher Empfindlichkeit. Da wäre zum einen das Geräusch unter Last. Der Motor ist hörbar. Er surrt heller und präsenter als der neue CX (Gen 5), bleibt aber leiser als die alte Gen 4. Im Uphill ist er ein ständiger akustischer Begleiter.
Viel störender für viele Piloten ist jedoch das Klappern in der Abfahrt. Konstruktionsbedingt neigt der Freilauf der SX-Einheit dazu, bei Schlägen ein metallisches Klackern zu erzeugen. Dieses Phänomen ist mal lauter, mal leiser, abhängig vom Resonanzkörper des Rahmens, aber es ist fast immer präsent. Für Puristen, die ein leises Bike für die Naturerfahrung suchen, ist das ein echter Wermutstropfen.
Bei der Effizienz zeigt der SX zwei Gesichter. Wer ihn in hohen Kadenzen und nicht an seinem Leistungs-Limit bewegt, freut sich über einen erstaunlich sparsamen Antrieb. Hier sind mit dem 400er Akku erstaunliche Reichweiten von 1.500 Höhenmetern und mehr möglich. Zwingt man den Motor jedoch in niedrige Kadenzen und ruft dabei dauerhaft hohe Unterstützungsstufen (Turbo) ab, bricht die Effizienz ein. Der Motor arbeitet dann außerhalb seines Wirkungsgrad-Optimums und saugt den kleinen Akku förmlich leer. Auch hier gilt: Der Fahrer ist der entscheidende Faktor für die Reichweite.







