Reise: Auf der 16. Etappe des Giro 2015 quälen sich Contador, Aru und Co. über den steilen Mortirolo. Jährlich tun es ihnen tausende Hobbysportler gleich. Ein Tourentipp.
Wenn der Giro d´Italia kommt, spielen sich am Mortirolo archaisch anmutende Szenen ab: Fahrer, die auf dem engen, steilen Bergsträßchen am Limit fahren, die Gesichter im Schmerz zu Grimassen verzerrt, Tifosi, die außer Rand und Band neben ihren Idolen herlaufen und sie anfeuern, Autos oder Motorräder, die schon mal liegen bleiben und den Weg versperren. Seit 1990 bietet der Mortirolo beim Giro immer wieder die Bühne für erbitterte Duelle, spektakuläre Siege und große Dramen. Und Jahr für Jahr pilgern tausende Hobbysportler zu diesem besonderen Berg, um ihn mit eigenen Augen zu sehen, mit eigenen Muskeln zu erfahren, mit eigenen Schmerzen zu erkämpfen. Wer eine wahre Königsetappe auf den Spuren des Giro d´Italia fahren möchte, nimmt zum steilen Mortirolo noch den Passo di Gavia im Osten dazu und kommt so auf eine knapp 120 Kilometer lange Runde mit 3.200 Höhenmetern.
Auf Pantanis Spuren am Mortirolo
Ein möglicher Ausgangspunkt ist der bekannte Skiort Bormio. Von dort geht es zunächst entspannt etwa 25 Kilometer bergab in Richtung Tirano. In Mazzo di Valtellina geht es dann links ab, und der Anstieg zum Mortirolo beginnt. Bis zur Passhöhe sind es 12 Kilometer und 1.300 Höhenmeter. Das ergibt eine durchschnittliche Steigung von über 10 Prozent! Rampen von 18 Prozent sind keine Seltenheit, an einer Stelle gilt es, 400 Meter lang 16 Prozent wegzudrücken. Zunächst erlauben Passagen durch Wiesen und freie Flächen schöne Ausblicke ins Tal, doch die meiste Zeit fährt man durch dichten Wald und ist mit sich und der steilen Straße alleine.
Liest man die Namen und Anfeuerungen auf dem guten Asphalt, werden Erinnerungen wach an die großen Fahrer, die vor einem schon diese schmale Straße befahren haben. Unvergessen ist die Attacke von Marco Pantani beim Giro d´Italia 1994, als er Jewgenij Berzin, Miguel Indurain und Claudio Chiappucci entwischte und im Etappenziel Aprica über drei Minuten Vorsprung auf seine Verfolger herausgefahren hatte. Seit 2006 erinnert fünf Kilometer unterhalb der Passhöhe ein Denkmal an den früh verstorbenen kleinen Kletterer. Beim Giro wird zudem der Fahrer, der den Mortirolo als Erster überquert, mit dem Sonderpreis Cima Pantani ausgezeichnet.
Sobald man den Wald verlässt, ist das Allerschlimmste überstanden. Zwar sind es noch zirka zwei Kilometer bis zur Passhöhe, doch die Steigung lässt etwas nach. Der Übergang in 1.854 Meter Höhe ist unspektakulär und heißt eigentlich Passo della Foppa. Vorsicht ist geboten in der schmalen, steilen und im oberen Teil sehr kurvenreichen Abfahrt nach Monno. Alternativ bietet es sich an, auf der Passhöhe nach rechts auf eine Kammstraße abzubiegen, die spektakuläre Ausblicke nach rechts ins Veltlin und nach links in die vergletscherten Berge des Adamello-Massivs bietet. Über eine rumpelige Straße kommt man nach Aprica und kann die Runde von dort Richtung Gavia fortsetzen, muss aber etwa 35 Kilometer mehr einplanen.
Der Passo di Gavia als Zugabe
Bis nach Ponte di Legno – den Ausgangspunkt für den Gavia – zieht sich die Nationalstraße etwa 20 Kilometer leicht ansteigend hin. Die Gelegenheit sollte man nutzen und sich ausgiebig verpflegen, denn mit dem Passo di Gavia wartet ein ganz dicker Brocken. Gerade die Südseite gehört zu den schönsten – und härtesten – Anstiegen im gesamten Alpenraum. Auf 18 Kilometern gilt es knapp 1.400 Höhenmeter zu erklettern. Die ersten davon sammelt man hinter Ponte di Legno auf zunächst noch breiter Straße. Kurz hinter der Albergo Pietra Rossa wird es dann spektakulär: Die Straße wird so eng, dass nur noch ein Auto Platz hat, und eine längere, 16 Prozent steile Gerade stellt sich in den Weg. Dann windet sich das Sträßchen in zahlreichen Serpentinen an der rechten Talseite den Berg hinauf. Immer wieder ergeben sich Blicke in das Valle delle Messi, auf das unter einem liegende Asphaltband und die umliegenden Bergriesen.
Die Steigung pendelt sich zwischen 8 und 10 Prozent ein, die Straße führt nun immer an der Bergflanke entlang, der Asphalt wechselt von glatt zu ruppig. Ein etwa 800 Meter langer, dunkler Tunnel verlangt die Mitnahme eines Rücklichtes. Linkerhand eröffnet sich bald ein Blick auf einen Bergsee, den Lago Nero. Neben der Steigung raubt einem spätestens hier das Postkarten-Panorama den Atem. Führt der Giro d´Italia über den Gavia, versammeln sich in den folgenden Serpentinen immer zahlreiche Tifosi, da man von dort neben dem Bergpanorama die Straße über mehrere Kilometer gut einsehen kann. Das Rifugio Bonetta kündigt schließlich das Erreichen der Passhöhe in 2.621 Meter Höhe an – inmitten einer beeindruckenden Felsenlandschaft mit einem weiteren Bergsee.
In der Abfahrt hat man zunächst mit schlechten Straßenverhältnissen zu kämpfen. Weiter unten werden die Serpentinen nach Santa Caterina und die folgende Highspeed-Passage auf breiter Straße nach Bormio zum Genuss. Dort angekommen schließt sich der Kreis, und eines ist sicher: Diese Runde wird einen nicht so schnell loslassen – für kalte Wintertage und monotones Training in heimischen Gefilden hat man unzählige Eindrücke gesammelt.
Tipp
Wer in Bormio sein Quartier aufschlägt, kann von dort weitere Pässetouren unternehmen, etwa über das legendäre Stilfser Joch oder Foscagno, Eira, Ofenpass und Umbrail. Als Ausgangspunkt bietet sich aber auch Edolo im Süden an. Hier bietet sich der bildschöne Passo del Vivione für eine weitere Tour an.
Wer die Runde Mortirolo-Gavia bei einem Jedermannrennen unter die Reifen nehmen möchte, ist beim Gran Fondo Internazionale La Campionissimo richtig. Am 28. Juni 2015 geht es vom Startort Aprica über Gavia, den Mortirolo, die Kammstraße und wahlweise den Passo Santa Cristina. Die längste Runde kommt auf 175 Kilometer mit 4.500 Höhenmetern.
https://youtu.be/o35lJaJvgz0