Radsport: Am Sonntag ist es soweit: In Richmond wird sich entscheiden, wer in der nächsten Saison in den Farben des Weltmeisters die auf die Straße gehen wird. Schafft der amtierende Weltmeister Michal Kwiatkowski es, seinen Titel zu verteidigen? Welche Chancen hat John Degenkolb und wie steht es um die Fitness von Peter Sagan? Wir haben die Antworten!
Die Strecke – Klassikerpotenzial
Die diesjährige Strecke für die Straßen-Wettbewerbe (Männer, Frauen, U23, Junioren) ist untypisch für amerikanische Verhältnisse und erinnert an vielen Stellen an Klassikerstrecken in Europa. Vor allem der steile, technisch anspruchsvolle und grob gepflasterte Anstieg am Libby Hill wirkt wie eine Hommage an die Pavée-Passagen von Paris-Roubaix. Auch die restliche Strecke ist geprägt von engen Straßen, harten Kurven und zwei 180° Wenden. Der Rundkurs in Richmond ist also definitiv ein Fall für die technisch versierten Fahrer im Feld wie Degenkolb oder Sagan.
16,2km ist der Rundkurs lang – 16 Mal wird er am Sonntag Nachmittag um 15:00 Uhr deutscher Zeit von den Männern zu bewältigen sein. Das macht eine Gesamtdistanz von 261,4km und knapp 1700hm. Es wird äußerst spannend sein zu beobachten, wie sich die unterschiedlichen Fahrertypen auf dem abwechslungsreichen Kurs schlagen werden. Denn auch wenn er sicherlich eher ein Fall für die Klassikerspezialisten im Feld ist, sind die reinen Sprinter nicht ganz chancenlos, vor allem wenn sie ein starkes Team im Rücken haben. Uns erwartet jedenfalls packender Rennsport – auf gar keinen Fall verpassen!
Die Favoriten – Kräftemessen der Klassikerspezialisten
Der Titelverteidiger Michal Kwiatkowski zählt auch in diesem Jahr sicherlich wieder zu den Titelfavoriten. Nach einer starken Frühsaison mit dem Sieg der Nachwuchswertung bei Paris-Nizza und seinem Triumph beim Amstel Gold Race, wurde es zuletzt etwas ruhiger um den jungen Polen. Nach einer für ihn persönlich eher durchwachsenen Tour de France mit einem frühzeitigen Ende nach Etappe 17 bestritt Kwiatkowski zuletzt einige kleinere Rennen, um seine Form für die WM aufzubauen.
Die Strecke könnte dem Profi von Etixx-QuickStep liegen, der seine Allroundqualitäten in den letzten Jahren stetig verbessern konnte. Problematisch könnte jedoch werden, dass in diesem Jahr nur fünf polnische Profis bei der WM an den Start gehen und das Team deutlich schwächer besetzt ist, als beispielsweise die Mannschaften aus Belgien oder Deutschland. Dennoch: Mit Michal Kwiatkowski wird zu rechnen sein.
Nach einer beispiellos erfolgreichen Frühsaison mit Siegen bei den prestigeträchtigen Klassikern Mailand-Sanremo und Paris-Roubaix war John Degenkolb zuletzt ein wenig vom Pech verfolgt. Trotz teils sehr guter Leistungen bei der Tour de France und der Vuelta a Espana mit vielen zweiten und dritten Plätzen reichte es nur zu einem Etappensieg bei einer Grand Tour in dieser Saison, nämlich bei der finalen Etappe der Vuelta in Madrid.
Auch wenn die Siege zuletzt ausblieben, unterstrich der 26-jährige zuletzt immer wieder seine nach wie vor sehr gute Form. Die Strecke in Richmond kommt dem Deutschen ganz sicher entgegen und die technisch anspruchsvollen Pflastersteinpassagen werden sicherlich angenehme Erinnerungen an Paris-Roubaix wecken. Außerdem hat Degenkolb unter anderem mit André Greipel, Simon Geschke und Tony Martin ein sehr starkes Team im Rücken. Die Chancen stehen gut für eine Medaille!
Peter Sagan gehört in dieser Saison sicherlich zu den stärksten Fahrern im Peloton. Der Slowake in Diensten von Tinkoff-Saxo fuhr nach seinem Gesamtsieg bei der Tour of California auch eine extrem starke Tour de France. Fast täglich sah man den 25-jährigen in einer Fluchtgruppe. Auch wenn es zu keinem Tagessieg reichte, sprechen fünf zweite Plätze und ein überlegener Sieg in der Punktewertung eine deutliche Sprache.
Die Vuelta begann vielversprechend für Sagan, mit dem sehnlichst erwarteten Tagessieg, zwei zweiten und einem dritten Platz. Leider setzte eine Kollision mit einem Begleitmotorrad einen unglücklichen Schlusspunkt für die diesjährige Spanienrundfahrt. Doch so hatte Sagan Zeit sich nach der anstrengenden Saison zu regenerieren und gehört zu den ganz großen Favoriten in Richmond, gerade auch weil das Finish wie für ihn gemacht scheint.
Es war eine verhältnismäßig ruhige Saison für Philippe Gilbert. Nach eher durchwachsenen Ergebnissen bei den Frühjahrsklassikern und einem starken Giro mit Platz zwei in der Punktewertung und zwei Etappensiegen, warfen kleinere Verletzungen den Belgier immer wieder zurück. Zuletzt zeigte er aber bei der Eneco Tour wieder, dass er seine Form gefunden hat und scheint gewappnet für die WM.
Gilbert kann in Richmond auf das wohl stärkste Team im Peloton bauen. Mit Greg van Avermaet und Tom Boonen gibt es im Grunde drei Fahrer in der belgischen Mannschaft, die sich auf dem Klassikerterrain der diesjährigen WM zuhause fühlen sollten. Wer von ihnen letztendlich um den Sieg mitfahren wird, wird sich wohl erst im Laufe des Rennens zeigen – die Chancen für eine Medaille für Belgien stehen jedenfalls sehr gut – egal ob an Gilbert, van Avermaet oder Boonen.
Alexander Kristoff gehört wie fast in jedem Jahr zu den Favoriten auf den WM-Titel. Der Norweger hatte in diesem Jahr eine herausragende Frühform: In Oman und Katar fuhr der Katusha-Profi die Konkurrenz in Grund und Boden und auch bei den Klassikern war er mit Siegen beim Scheldeprijs, der Flandern-Rundfahrt und einem zweiten Platz bei Mailand-Sanremo äußerst erfolgreich.
Die Tour de France verlief für Kristoff dann leider nicht wie erhofft. Obwohl mehrmals in aussichtsreicher Position, konnte er seine zweifellos vorhandenen Sprinterqualitäten nur selten auf den Asphalt bringen und ihm blieb ein Etappensieg verwehrt. Zuletzt zeigte er sich bei den Vatenfall Cyclassics aber wieder stark verbessert und musste sich nur dem in diesem Jahr fast unbezwingbaren André Greipel geschlagen geben. Der Rundkurs in Richmond wird dem 28-jährigen sicherlich liegen und mit Edvald Boasson Hagen hat er außerdem einen sehr starken Helfer im Rücken.
Livestream
Verfolgen könnt ihr das Straßenrennen bei der WM in Richmond am Sonntag Nachmittag um 15:00 Uhr via Livestream der UCI. Den entsprechenden Link findet ihr selbstverständlich rechtzeitig auf Velomotion.