Radsport: Die im Vorjahr erstmals wieder ins Leben gerufene Deutschland Tour war ein voller Erfolg. Auch 2019 haben zahlreiche Top-Fahrer ihr Kommen angekündigt. Wir werfen einen Blick auf die schnellsten Sprinter und die Favoriten auf den Gesamtsieg.
Die Favoriten der Deutschland Tour
Bei einer Grand Tour ist es relativ leicht, die Anwärter auf den Gesamtsieg herauszufinden. Lange Zeitfahren und das Hochgebirge engen den Kreis der Favoriten ordentlich ein. Bei einer nur viertägigen Rundfahrt ist es umso schwieriger – und damit spannender. Das Fehlen von Hochgebirgsetappen und einem Kampf gegen die Uhr macht die Deutschland Tour zu einer Rundfahrt für die Klassiker-Jäger. Obwohl Geraint Thomas (Ineos) gewiss zu den stärksten Fahrern der Welt gehört, zählt er also nicht zu den Favoriten. Ähnliches trifft wohl auch auf Richie Porte (Trek – Segafredo), Enric Mas (Deceuninck – Quick-Step), Daniel Martin (UAE Team Emirates) Pavel Sivakov (Ineos) und Emanuel Buchmann (Bora – hansgrohe) zu. Wir konzentrieren uns daher auf andere Namen.
Julian Alaphilippe (Deceuninck – Quick-Step)
Will er oder will er nicht? Das scheint bei Julian Alaphilippe vor der Deutschland Tour wohl die größte Frage zu sein. Nach seinem beeindruckenden Auftritt bei der Tour de France musste er sich einige Wochen erholen. So stieg er zum Beispiel bei der Clasica San Sebastian als Top-Favorit frühzeitig aus. Mittlerweile dürfte er seinen Energiespeicher wieder voll aufgefüllt haben. Die Etappen liegen ihm, doch vielleicht sind sie sogar etwas zu leicht für ihn.
Remco Evenepoel (Deceuninck – Quick-Step)
Der Shootingstar der Radsport-Szene ist zweifelsohne Remco Evenepoel. Der erst 19-Jährige wird schon überall als neuer Eddy Merckx bezeichnet. Auch wenn dieser Vergleich etwas unfair ist, bewies der Belgier in den vergangenen Monaten bereits, dass er diesem Druck durchaus gewachsen ist. Für viele überraschend gewann er die Clasica San Sebastian. Außerdem wurde er vor wenigen Tagen Europameister im Zeitfahren. Sollte Remco Evenepoel nicht für Julian Alaphilippe arbeiten müssen, sollten wir ihn also auch bei der Deutschland Tour auf der Rechnung haben.
Alberto Bettiol (EF Education First)
Spätestens seit dem 7. April diesen Jahres kennen nicht mehr nur die Radsport-Experten den Namen Alberto Bettiol. An diesem Tag gewann der Italiener die Flandern-Rundfahrt. Damit stieg er auf zu einem der stärksten Klassiker-Jäger der Welt. Doch so wirklich bestätigen konnte er dieses Resultat anschließend nicht. Die Deutschland Tour bietet ihm nun die Gelegenheit, wieder auf sich aufmerksam zu machen. Als sprintstarker Hügel-Spezialist dürften ihm alle Etappen entgegenkommen. Tritt er in der Ebene an und die Konkurrenten passen auf den letzten Kilometern nicht auf, kann er auch auf einem Flachstück die Rundfahrt für sich entscheiden.
Michal Kwiatkowski (Ineos)
So ganz ohne Mitfavorit geht das Team Ineos dann doch nicht an den Start. Während die Etappen für Pavel Sivakov und Geraint Thomas wohl zu leicht sind, kommen sie Michal Kwiatkowski absolut entgegen. Fraglich ist nur, ob der Pole wieder in Form ist. Nach der Tour de France wollte er eigentlich seinen Gesamtsieg bei der heimischen Polen-Rundfahrt verteidigen, doch auf Grund fehlender Form zog er seine Teilnahme zurück. Mittlerweile dürfte er jedoch wieder zu gewohnter Stärke zurückgefunden haben – und dann wird es gegen ihn hier richtig schwer.
Laurens De Plus (Jumbo – Visma)
Die Zuschauer der Tour de France haben nicht schlecht gestaunt, als in den Bergen plötzlich schwarz-gelb, statt Ineos vorn zu sehen war. Jumbo – Visma ist in diesem Jahr zu einem der stärksten Teams herangewachsen. Seinen Teil dazu beigetragen hat auch Laurens De Plus. Der Belgier scheint in den Bergen immer stärker zu werden, während er bei kurzen, giftigen Anstiegen eigentlich schon immer ein Kandidat für ganz vorn war. Bewiesen hat er dies zuletzt bei der Binck Bank Tour. Am letzten Tag der Rundfahrt knöpfte er Tim Wellens doch noch die Gesamtführung ab. Mit einer solche engagierten und motivierten Fahrweise kann er auch die Deutschland Tour gewinnen. Einziges Manko: In einem Sprint ist mit ihm so gar nicht zu rechnen.
Lennard Kämna (Sunweb)
Genau vor einem Jahr hat Lennard Kämna bei der Deutschland Tour gegenüber Velomotion in einem Interview verlauten lassen, dass er selbst noch nicht so genau weiß, in welche Richtung er sich entwickeln wird. Mittlerweile sind wir alle ein bisschen schlauer geworden. Denn der bald 23-Jährige hat sich bei der Tour de Suisse und der Tour de France im Hochgebirge als absolut konkurrenzfähig bewiesen. Damit scheint klar: Lennard Kämna ist mindestens ein Bergfahrer, wenn nicht sogar ein kommender Klassementfahrer. Mit seinen noch jungen Jahren wird er sich weiterentwickeln und mit jeder Erfahrung stärker werden. Es ist ihm zuzutrauen, dass er bei der Deutschland Tour 2019 vorn reinfahren kann. Aber auch er muss attackieren, da er in Sprints unterlegen ist.
Marc Hirschi (Sunweb)
Das zweite heiße Eisen im Feuer von Sunweb ist Marc Hirschi. Der Schweizer ist einer der kommenden Top-Fahrer – da sind sich die Experten einig. Im Gegensatz zu Lennard Kämna sieht man ihn aber eher als Klassiker-Jäger und Hügel-Spezialist, statt als Bergfahrer und Rundfahrer. Dementsprechend wird er mit dem Profil der Deutschland Tour 2019 zufrieden sein. Zuletzt bewies er bei der nicht einfachen Binck Bank Tour auf WorldTour-Niveau, dass er mit den stärksten Fahrern mithalten kann. Trotz fehlender Erfahrung duellierte er sich mit Tim Wellens und Laurens De Plus. Seine beeindruckende Abgeklärtheit und seine Unbekümmertheit könnten ihn bei der Deutschland Tour zum Überraschungssieger machen.
Nils Politt (Katusha – Alpecin)
Im vergangenen Jahr gewann Nils Politt in Stuttgart die Schlussetappe der Deutschland Tour. Obwohl er den Gesamtsieg verpasste, schien er damit auf ein neues Level aufgestiegen zu sein. 2019 folgte dann der nächste Schritt mit Rang zwei bei seinem Lieblingsrennen Paris – Roubaix. Mittlerweile wird er bei entsprechenden Etappenprofilen immer zu den Favoriten gezählt. Fraglich ist, ob die Etappen der Deutschland Tour 2019 für ihn nicht doch etwas zu schwer sein könnten. Tritt ein Julian Alaphilippe an einem 8,0 Prozent steilen Anstieg an, wird Nils Politt den Rhythmuswechsel wohl nicht mitgehen können.
Diego Ulissi (UAE Team Emirates)
Mit über 30 Profi-Siegen in seiner Karriere zählt Diego Ulissi gewiss zu den stärkeren Fahrern im Radsport-Zirkus. In den vergangenen Jahren jedoch hat der Italiener etwas an Spritzigkeit verloren. Das ist für den mittlerweile 30-Jährigen ein Problem, denn schließlich war genau diese sein Markenzeichen. Er wird sie brauchen, um bei der Deutschland Tour 2019 ganz oben auf dem Podium zu landen. Da ihm die Etappen #2 bis #4 aber absolut entgegenkommen, müssen wir mit ihm rechnen. Sein Vorteil: Gemeinsam mit Teamkollege Daniel Martin könnte er eine starke Doppelspitze bilden. In einem Sprint und einer Solo-Vorstellung ist er aber deutlich stärker einzuschätzen.
Jasper Stuyven (Trek – Segafredo)
Auch wenn sein Name hier eher überraschen mag, ist Jasper Stuyven einer der interessantesten Fahrerprofile im gesamten Radsport. Der Belgier kann nämlich nur sehr schwer in eine Schublade gesteckt werden. Sicher hat er seine Stärken vorwiegend im Sprint, doch auch wenn die Straße ansteigt, darf man den 27-Jährigen nicht aus den Augen lassen. Seine Rennhärte ist beeindruckend, ebenso wie seine Fähigkeit, ohne starke Teamkollegen in eine gute Position zu kommen. Er wird hoffen, die Anstiege zu überstehen und dann in der ersten Gruppe im Zielort anzukommen. Verglichen mit allen anderen genannten Favoriten, dürfte er in einem direkten Sprintduell jedem überlegen sein. Beste Chancen auf den Tagessieg hat er auf der vierten Etappe.
Die Sprinter der Deutschland Tour
Vermutlich wissen die Sprinter der Deutschland Tour selbst nicht so genau, auf welcher Etappe sie wirklich Siegchancen haben. Tag #1 scheint gesichert, doch wie hart werden die darauf folgenden Teilstücke gefahren? Scheitern die Attacken der Puncheur, könnten die entstandenen Gruppen wieder zusammenfinden. So oder so muss ein Sprinter mit Siegambitionen bei der diesjährigen Deutschland Tour aber gut über den ein oder anderen Hügel kommen. Wir haben fünf Profis gefunden, die beste Chancen auf einen Etappensieg im Sprint haben.
Pascal Ackermann (Bora – hansgrohe)
Spätestens seit dieser Saison zählt Pascal Ackermann zu den schnellsten Sprintern der Welt. Durch seine Etappensiege beim Giro d’Italia hat er bewiesen, dass er es auch mit den stärksten Konkurrenten aufnehmen kann. Im vergangenen Jahr verpasste er seinen erhofften Etappensieg zum Auftakt nur knapp. Dieses Mal soll es klappen. Sollte es auch, denn die Etappen danach könnten für Pascal Ackermann zu schwer sein. Wir erwarten an Tag #1 ein Duell zwischen ihm und Caleb Ewan.
Caleb Ewan (Lotto – Soudal)
Nach Anfangsschwierigkeiten bei der Tour de France stieg Caleb Ewan mit drei Etappensiegen dann doch noch zum besten Sprinter der Rundfahrt auf. Besonders beeindruckend war sein Erfolg in Paris. Auf dem Kopfsteinpflaster der Champs-Élysées musste er seine Körperhaltung im Sprint verändern, um seinen Schwerpunkt weiter nach hinten zu verlagern. Dies meisterte er mit Bravur. Ohnehin bekannt ist, dass Caleb Ewan mit kürzeren Anstiegen eigentlich kaum Probleme hat – auch wenn dies zu Beginn der Tour de France anders aussah. Dementsprechend könnte der kleine Australier bei der Deutschland Tour nicht nur auf einen Sieg auf der ersten Etappe schielen.
Alexander Kristoff (UAE Team Emirates)
Vom Sprinter immer mehr wegzubewegen scheint sich Alexander Kristoff. Der Norweger büßt immer mehr von seiner einst dagewesenen Endschnelligkeit ein. Daher wurde er in seiner Mannschaft auch zum Anfahrer von Fernando Gaviria degradiert. Bei der Deutschland Tour 2019 jedoch ist dieser nicht mit dabei. Alexander Kristoff darf daher auf eigene Rechnung fahren. Er wird hoffen, dass die Etappen durch starke Winde und hart gefahrene Kilometer etwas schwieriger werden. Gegen Caleb Ewan und Pascal Ackermann dürfte er es in einem komplett flachen Sprint nämlich nicht leicht haben. Unterschätzen sollte man den zähen Norweger aber nie.
Sonny Colbrelli (Bahrain – Merida)
Gleich siebenmal ist Sonny Colbrelli bei der Tour de France unter die Top 9 gesprintet. Für einen Platz auf dem Podium hat es aber nie gereicht. Dies beschreibt das Dilemma des Italieners grundsätzlich sehr gut. Er ist schnell, aber nicht schnell genug. Seine größte Stärke ist die Konstanz, doch am Ende des Tages springen selten erste Plätze heraus. Lediglich bei der Tour of Oman konnte er in diesem Jahr einmal jubeln. Doch die Deutschland Tour kommt ihm entgegen. Während er auf der ersten Etappe an Caleb Ewan und Pascal Ackermann wohl nicht vorbeikommt, kann er auf den darauffolgenden Tagen darauf hoffen, dass diese beiden dem Tempo in den Anstiegen nicht mehr folgen können.
André Greipel (Arkéa – Samsic)
Ebenfalls nur einen Saisonsieg hat bislang André Greipel gefeiert. Der 37-Jährige scheint von seiner alten Stärke meilenweit entfernt zu sein. Bei der Tour de France fuhr er nur einmal in die Top 10. Nach seiner Erkrankung kurz vor der Tour dürfte er nun aber wieder etwas fitter sein. In Frage für einen Etappensieg kommt der „Gorilla“ aber ohnehin nur auf der ersten Etappe. Steigt die Straße zu sehr an, sind seine Konkurrenten einfach schneller. Mit dem richtigen Hinterrad und dem richtigen Riecher kann er zum Auftakt also für eine Überraschung sorgen.