Test / E-MTB: Mit dem Giant Stance E+ 0 Pro hatten wir ein echtes Mittelklasse E-MTB im Test, das für seinen Preis von knapp 5.500 Euro jede Menge mitbringt. Der moderne Rahmen mit sportlicher Geometrie und ein durchdachtes Komponentenpaket zeigen, dass es auch im Jahr 2023 möglich ist, im mittleren Preisbereich starke E-MTBs zu bauen.
Spätestens seit den Pandemie-Jahren sind solide Mittelklasse E-MTBs immer seltener geworden. Für trailtaugliche Bikes mit ausgewachsenem Motor und großem Akku ohne schmerzhafte Kompromisse bei den Komponenten muss man heute vielerorts 7.000 Euro oder mehr berappen. Dass es durchaus anders geht, zeigt Giant mit dem neuen Stance E+. Wie schon der Vorgänger verortet der Fahrrad-Gigant die Modellreihe komplett im mittleren oder gar unteren Preissegment. Angefangen bei 4.000 Euro gibt es dann insgesamt sechs Modelle bis zum Topmodell, welches wir im Test hatten. Selbst dafür werden dann „nur“ durchaus faire 5.499 Euro fällig.
Wie schon beim Vorgänger (und vielen anderen E-Bikes im Portfolio) teilt Giant die Stance E+ Range in zwei Unterkategorien: Pro und ’non-Pro‘. Der Unterschied liegt hier beim Antriebssystem: Während die Modelle mit dem Namenszusatz Pro einen SyncDrive Pro2 mit 85 Nm maximalem Drehmoment und einen 800 Wh Akku spendiert bekommen, müssen sich die ’non-Pro‘ Varianten mit einem SyncDrive Sport2 mit 75 Nm und einem 625 Wh Akku begnügen. Ein Lob an dieser Stelle an Giant, dass man es so für Kunden recht einfach macht, diesen entscheidenden Unterschied schon im Modellnamen zu erkennen, anstatt ihn tief in den technischen Daten zu verstecken.
Der Rahmen ist bei allen Giant Stance E+ Modellen identisch – von der farblichen Gestaltung abgesehen. Wenig überraschend für diese Preisklasse kommt Aluminium zum Einsatz, die Verarbeitung ist jedoch durchweg hervorragend. Mit 125 mm Federweg im Heck gibt es hier etwas mehr als beim direkten Vorgänger, vorn sind es weiterhin 140 mm. So ordnet sich das ausschließlich mit 29 Zoll Laufrädern erhältliche E-MTB in der Kategorie „Trailbike“ bzw. Allrounder ein. Der Hinterbau basiert außerdem nicht auf dem Maestro-System für das Giant so bekannt ist und das bei allen anderen E-MTB Fullies im Programm genutzt wird. Stattdessen hört dieser auf die Bezeichnung Flex-Point, die so auch schon beim Vorgänger verwendet wurde. Auf ein Lager im Bereich des Hinterrads wird dabei verzichtet, stattdessen nutzt Giant den natürlichen Flex des Hinterbaus, um die Bewegung auszugleichen. So können Kosten und Gewicht gespart werden, zudem gibt es ein Lager weniger, das Wartung benötigt. Jedoch dürfte das auch der Grund sein, weshalb sich das E-MTB mit „nur“ 125 mm Federweg begnügen muss.
Starkes Antriebssystem mit großem Akku
Das Antriebssystem des von uns getesteten Top-Modell ist mittlerweile vielfach bewährt. Der Giant SyncDrive Pro2 basiert dabei auf dem Yamaha PW-X3 Motor, der jedoch mit eigener Sensorik, eigener Software, Bedienteil und Akku ausgestattet ist. Als maximales Drehmoment gibt Giant 85 Nm an, bei seiner Maximalleistung ordnet sich der Antrieb laut unseren Prüfstandsmessungen im unteren Mittelfeld ein, der Abstand zu beliebten Antrieben wie dem Bosch CX oder dem Brose Drive S Mag ist jedoch nicht groß. Diesen voraus hat der Motor auf jeden Fall das Gewicht von ca. 2,75 kg, was gut 100 g weniger ist als die meisten anderen Mittelmotoren in diesem Segment.
Der 800 Wh Akku ist im Unterrohr integriert und lässt sich über eine Klappe nach unten entnehmen. Hierfür muss zunächst eine Schraube per Hand herausgedreht werden und nach dem Entfernen des Covers kann der Akku durch das Lösen einer weiteren 4mm Inbus-Schraube seitlich am Unterrohr entnommen werden. Das funktioniert zuverlässig und der Energiespeicher sitzt auch fest im Rahmen, die Entnahme selbst dauert jedoch etwas länger als bei vielen anderen E-MTBs. Wem die üppigen 800 Wh nicht ausreichen oder wer eines der günstigeren Modelle mit 625 Wh sein Eigen nennt, kann auch einen Blick auf den Range Extender werfen. Dieser steuert weitere 250 Wh bei und kann auf dem Unterrohr montiert werden.
Die Steuerung des Antriebs erfolgt über das Giant RideControl Dash 2-in-1. Die kombinierte Einheit aus Display und Bedienteil ist ergonomisch gelungen, das Farbdisplay meist gut ablesbar. Lediglich bei direkter Sonneneinstrahlung dürfte der Bildschirm etwas heller sein, hier lässt sich nicht immer alles gut erkennen.
Ausstattung: Gelungen!
Das von uns getestete Giant Stance E+ 0 Pro bringt für seinen Preis von 5.499 Euro eine durchweg solide, teils hochwertige Ausstattung mit. Die Waage bleibt für Rahmengröße L und ohne Pedale bei ordentlichen 25,1 kg stehen. Das Highlight bei den Komponenten ist vielleicht die Schaltung: Die Shimano XT Linkglide hat zwar nur elf Gänge, bringt jedoch dennoch eine fürs E-MTB ausreichend große Bandbreite mit und kann gegenüber der regulären 12-fach Variante mit Robustheit, Langlebigkeit und besserem Schaltverhalten unter Last punkten. Überrascht waren wir von den Bremsen, hier hatten wir bestenfalls günstige 4-Kolben Varianten von Shimano erwartet. Zwar sind auch 4-Kolben Bremsen von Shimano verbaut, jedoch kommen diese aus der SLX Reihe und werden mit großen Scheiben vorn und hinten kombiniert – top!
Rahmen | Giant Stance E+ |
Federgabel | RockShox 35 Gold 140 |
Antrieb | Giant SyncDrive Pro2 |
Akku | 800 Wh |
Dämpfer | RockShox Deluxe Select |
Laufräder | Giant AM 29 |
Reifen VR | Maxxis Minion DHF Exo |
Reifen HR | Maxxis Dissector Exo |
Schaltwerk | Shimano XT Linkglide |
Schalthebel | Shimano XT Linkglide |
Kurbel | FSA Comet |
Umwerfer | Ohne |
Bremse | Shimano SLX M7120 |
Bremsscheiben | Shimano 203/203 |
Sattelstütze | Giant Contact Switch Vario 170mm |
Sattel | Giant Romero |
Vorbau | Giant Contact |
Lenker | Giant Connect TR Riser |
Am ehesten spürbar wird der eher günstige Preis des Bikes beim Blick auf das Fahrwerk. Die Kombination aus RockShox 35 Gold vorn und Deluxe Select+ im Heck ist solide, aber keinesfalls hochwertig. Das Einstellen über Luftdurck ist natürlich ebenso möglich wie das regulieren der Zugstufe und auch rudimentäre Anpassungen bei der Druckstufe sind möglich. Ein Sonderlob gibt es dann wiederum für die verbauten Reifen: Maxxis Minion DHF vor und Dissector hinten, beide in der ausreichend stabilen Exo Karkasse, sind eine ausgezeichnete Wahl. Insbesondere der DHF vorn bietet viel Grip und ist auch an einem E-MTB mit eher wenig Federweg sehr gut aufgehoben.
Geometrie
Einen beachtlichen Sprung im Vergleich zum Vorgänger macht die Geometrie des Stance E+ 2023. Deutlich moderner, deutlich progressiver und auch deutlich sportlicher als zuvor zeigt sich das E-Trailbike. Mit langem Hauptrahmen, langen Kettenstreben und einem durchschnittlich flachen Lenkwinkel dürfte sich das Rad auch auf steilen Trails durchaus wohlfühlen und mit viel Laufruhe punkten können. Der steile Sitzwinkel positioniert den Fahrer dann außerdem zentral über dem Bike, was im Uphill für Pluspunkte sorgen sollte.
Geometrie Giant Stance E+ Pro 2023
S | M | L | XL | |
---|---|---|---|---|
Sitzrohr (in mm) | 400 | 425 | 450 | 475 |
Oberrohr horizontal (in mm) | 580 | 607 | 639 | 671 |
Steuerrohr (in mm) | 105 | 115 | 125 | 135 |
Lenkwinkel (in °) | 65.5 | 65.5 | 65.5 | 65.5 |
Sitzwinkel (in °) | 76 | 76 | 76 | 76 |
Kettenstreben (in mm) | 468 | 468 | 468 | 468 |
Tretlagerabsenkung (in mm) | 40 | 40 | 40 | 40 |
Radstand (in mm) | 1204 | 1233 | 1267 | 1301 |
Reach (in mm) | 425 | 450 | 480 | 510 |
Stack (in mm) | 618 | 627 | 636 | 646 |
Das Giant Stance E+ 0 Pro auf dem Trail
Auf dem Trail macht das Giant Stance E+ 0 Pro einfach nur Spaß. Immer wieder ertappt man sich bei der Frage, weshalb man überhaupt so viel mehr Geld für andere E-MTBs ausgeben sollte. Bei gemäßigtem Gelände lädt die sportliche Geometrie wirklich zum Ballern ein, wobei dann bei hohem Tempo ein paar Defizite beim Fahrwerk doch spürbar werden. Die RockShox 35 Gold an der Front kommt bei Steifigkeit und Performance zuweilen an ihre Grenzen und die 125 mm Federweg des Hinterbaus mahnen immer wieder zu einer etwas gemächlicheren Gangart. Jedoch fällt das nur deshalb auf, weil das Rad ansonsten so vieles richtig macht und immer wieder animiert, den Finger etwas länger von der Bremse zu lassen. Für ein E-MTB in dieser Preis- und Federwegsklasse macht das Stance E+ 0 Pro auf dem Trail jedenfalls eine exzellente Figur.
Seine Vielseitigkeit kann das Bike dann unterstreichen, wenn die Reifen etwas gefestigteren Boden berühren und gemütliches Pedalieren gefragt ist. Der enorm reaktionsschnelle SyncDrive Pro2 Motor bot uns jederzeit genügend Leistung, vorausgesetzt man passt die Trittfrequenz an. Im Uphill kitzelt man dann die meiste Leistung aus dem Antrieb, wenn die Kadenz irgendwo im Bereich zwischen 80 und 90 liegt – schwere Gänge mag das System hier nicht so gerne. Die Geräuschkulisse ist vorhanden, bergab wie bergauf, jedoch nicht störend. Auf dem Trail lässt sich hier und dort ein leises Klappern vernehmen, je nach Untergrund geht dieses jedoch sogar in den Fahrgeräuschen unter. Der Motor selbst hat einen eher hochfrequenten Ton, ist aber leiser als beispielsweise ein Bosch CX oder ein Shimano EP8.
Die verbauten Komponenten bieten von wenigen Kleinigkeiten abgesehen keinen Anlass zur Kritik. Die XT Linkglide Schaltung nimmt auch Gangwechsel unter Last nicht krumm und hat mehr als genügend Bandbreite und die zuverlässigen SLX Bremsen packen auf Wunsch richtig bissig zu. Für sehr viel Sicherheit in allen Fahrsituationen sorgen außerdem die Reifen mit viel Grip, vor allem an der Front. Es ist unverständlich, weshalb bei so vielen E-MTBs in dieser Hinsicht gespart wird – schön, dass es Giant anders macht. Das Haar in der Suppe fanden wir bei der Variostütze aus eigenem Hause, die zwar viel Hub bietet, sich im Betrieb aber etwas bockig zeigt und sich nicht immer ganz geschmeidig absenken lässt.