Probefahrt: Fahrradmessen sind schon etwas Tolles – nicht nur bekommt man hier das Neueste vom Neuen präsentiert oder kann mit den jeweiligen Designern, Konstrukteuren oder Athleten fachsimpeln, manchmal bekommt man dann sogar die Möglichkeit, auf dem einen oder anderen neuen Rad eine kurze Runde zu drehen. So auch am vergangenen Wochenende auf der Berliner Fahrradschau – wir haben uns das Giant AnyRoad Comax für eine kurze Probefahrt unter den Nagel gerissen.
Beinahe jede Saison gibt es Innovationen, Ideen und Fahrräder, die mal mehr mal weniger offensiv von sich behaupten, das Rad zumindest teilweise neu erfunden zu haben. Immer mehr, immer neue Fahrradkategorien machen den Markt für den Endkunden zunehmend unübersichtlicher. Immer wieder bekommt man von der Industrie suggeriert, dass jedes Einsatzgebiet sein eigenes Rad benötigt, um wirklich Spaß zu haben. Giant geht mit seinem 1.599€ teuren AnyRoad Comax den umgekehrten Weg und will damit keine neue Nische bedienen, sondern viele unterschiedliche Strecken- und Fahrerprofile abdecken.
Auf den ersten Blick ähnelt das AnyRoad einem klassischen Crossrad. Die Scheibenbremsen und die profilierten Reifen sprechen deutlich dafür. Doch sobald man auf dem grau-rot-weißen Carbonboliden Platz nimmt, merkt man: Das fühlt sich irgendwie anders an. Insbesondere die durch das lange Steuerrohr sehr hohe Front fällt auf. So sitzt man doch deutlich aufrechter und komfortabler, als man es von einem Crossrad gewohnt ist. Lässt man den Blick über das Cockpit wandern, wartet die nächste Besonderheit: Giant bringt hier serienmäßig Zusatzbremshebel an, die ein Umgreifen zum Bremsen obsolet machen.
Die Ausstattung des AnyRoad ist zweckmäßig: Giant verbaut die 105er Gruppe von Shimano und kombiniert diese mit den Avid BB7 Scheibenbremsen. Letztere arbeiten im Gegensatz zu den meisten modernen Scheibenstoppern nicht hydraulisch, sondern klassisch mechanisch. Wer jetzt die Nase rümpft, dem sei gesagt: Die BB7 steht den meisten ihrer hydraulischen Konkurrenten bezüglich Bremskraft in nichts nach und ist außerdem noch wesentlich wartungsärmer und -freundlicher. Schön, dass Giant den Mut hatte, auf eine solche vermeintlich unpopuläre Lösung zu setzen.
Der Carbonrahmen ist schön verarbeitet und das Design ist zwar auffällig, aber nicht zu aufdringlich. Die Anbauteile kommen überwiegend aus eigenem Hause ebenso wie auch die Laufräder. So landet das Giant AnyRoad Comax bei einem Gewicht von knapp 10kg – mehr Gewichtstuning wäre bei dem angepeilten Einsatzbereich wohl auch fehl am Platz. Die innenverlegten Züge tragen außerdem zu der wirklich aufgeräumten Optik bei. Ösen für Schutzblechmontage an Gabel und Rahmen bieten noch zusätzliche Optionen.
Laut Giant soll das AnyRoad die Brücke zwischen Cross- und Trekkingrad schlagen. Dieser Fahrradzwitter fährt sich auf den ersten Metern zugegebenermaßen etwas gewöhnungsbedürftig. Die hohe Front und der dadurch auch wesentlich kürzere Reach sorgen für eine aufrechte Sitzposition. Man muss sich mit diesem Kompromiss zu Beginn etwas anfreunden, doch ist die erste Umgewöhnungsphase bewältigt, wird klar, dass es Giant mit dem AnyRoad Comax vielleicht tatsächlich gelungen ist, ein Rad zu entwickeln auf das viele gewartet haben: Es ist leicht, spritzig und sportlich, aber nicht unbequem. Mit montierten Schutzblechen ist es als Pendlerrad ebenso tauglich, wie als Tourenrad auf Wald- und Forstautobahn. Wer gegenüber diesem Konzept aufgeschlossen ist, sollte definitiv ein Auge auf das Giant AnyRoad Comax werfen.