Test / E-MTB: Mit dem e-Full 12.11 bringt der tschechische Hersteller Crussis ein neues E-Mountainbike auf den Markt, das für die kommende Saison für Aufsehen sorgen dürfte. Angetrieben vom potenten DJI Avinox Motor und verpackt in ein elegantes Carbon-Chassis, verspricht das Rad eine hohe Performance zu einem äußerst konkurrenzfähigen Preis. Doch kann der Newcomer die hohen Erwartungen erfüllen? Wir hatten das Topmodell Crussis e-Full 12.11 Pro X für einen ausführlichen Praxistest in der Redaktion und haben genau hingeschaut, wo die Stärken und Schwächen des vielversprechenden Allrounders liegen.
Ein Newcomer sorgt für Aufsehen
Der Name Crussis dürfte hierzulande bisher nur eingefleischten Branchenkennern ein Begriff gewesen sein. Der Hersteller aus Tschechien ist zwar kein Neuling auf dem Markt, war in Deutschland bisher aber nur mit einem spärlich gesäten Händlernetzwerk vertreten. Das soll sich mit der neuen Modellpalette für die Saison 2026 ändern. Auf der Eurobike präsentierte Crussis eine ganze Reihe neuer E-Mountainbikes, viele davon mit dem DJI Avinox Antriebssystem.
Besonders das vollgefederte e-Full stach aus der Masse heraus und zog viel Interesse auf sich. Das hat vor allem drei Gründe: die Optik, der Antrieb und der Preis. Statt auf extreme oder polarisierende Formen zu setzen, wählte man bei Crussis einen eleganten, schlanken und doch vertrauten Ansatz. Die Proportionen sind stimmig, was dem Rad eine breite optische Anziehungskraft verleiht. Gepaart mit dem leistungsstarken und begehrten DJI-Motor und einer aggressiven Preisgestaltung – die Carbon-Modelle starten bei 5.700 Euro, die Alu-Varianten sogar bei unter 5.000 Euro – hat Crussis ein Gesamtpaket geschnürt, das auf dem Papier nur schwer zu schlagen ist.
Der Rahmen des Crussis e-Full 12.11 im Detail
Das Herzstück des e-Full 12.11 ist sein Vollcarbon-Rahmen, der in unserem Test einen sehr guten Eindruck hinterlassen hat. Es gibt auch eine Variante aus Aluminium, doch der Fokus liegt klar auf den Kohlefaser-Modellen.
Verarbeitung und Features
Die Verarbeitungsqualität des Rahmens ist auf hohem Niveau. Die Carbon-Rohre sind nicht übermäßig dünnwandig, was auf eine robuste Auslegung schließen lässt und Vertrauen schafft. An allen relevanten Stellen finden sich durchdachte Rahmenschützer: Die Ober- und Unterseite der Kettenstrebe, die Innenseite der Sitzstrebe und sogar der Bereich zwischen den Umlenkhebeln sind vor Steinschlägen und Kettenschlagen geschützt. Das ist eine Detailliebe, die man auch bei etablierten Premium-Herstellern nicht immer findet. Ein kleiner Kritikpunkt bei unserem Vorserienmodell war der sich leicht lösende Kleber an einem der Schützer. Ein Manko, das bei vielen Herstellern auftritt, ist der fehlende Protektor am Unterrohr, was bei Steinkontakt zu lauten Geräuschen und potenziellen Lackschäden führen kann.
Ein großes Lob verdient die Leitungsverlegung. Crussis verzichtet auf den umstrittenen Trend, Züge und Leitungen durch den Steuersatz zu führen. Stattdessen werden sie durch geschraubte Ports am Hauptrahmen sauber und sicher ins Innere geleitet. Das erleichtert Wartungsarbeiten erheblich und sorgt für eine aufgeräumte Optik, ohne die Nachteile einer Steuersatz-Integration in Kauf nehmen zu müssen.
Unser Testbike war noch ein Vorserienmodell. Crussis hat uns versichert, dass zwei kleine Details bis zur Serienreife optimiert werden: Die Gummidichtung um das im Oberrohr integrierte Display wird passgenauer und die Reifenfreiheit an den Sitzstreben, die bei unserem Rad etwas eng war, wird vergrößert.
Integration und Systemgewicht
Der DJI Avinox Motor ermöglicht durch seine schlanke Bauform und die länglichen Akkus ein sehr schlankes und elegant integriertes Unterrohr. Dieser Vorteil kommt jedoch mit einem Kompromiss: Der Akku ist fest im Rahmen verbaut. Ein Ausbau zum externen Laden, zur Lagerung im Winter oder zum leichteren Transport auf einem Heckträger ist nicht ohne weiteres möglich – dafür müsste der Motor demontiert werden. Durch die sehr schnelle Ladefunktion des Systems wird dieser Umstand jedoch etwas relativiert. Mit dem mitgelieferten 12A Ladegerät ist der 800-Wh-Akku in etwas mehr als zwei Stunden wieder komplett voll.
Ein kritischer Punkt, der für manche Fahrer ein Ausschlusskriterium sein könnte, ist das zulässige Gesamtgewicht von nur 120 Kilogramm. Zieht man das Eigengewicht des Rades von rund 22 Kilogramm (je nach Ausstattung) ab, verbleibt eine Zuladung von unter 100 Kilogramm für Fahrer inklusive Ausrüstung. Angesichts der steifen und robusten Anmutung des Rahmens ist dieser Wert überraschend niedrig.
Erfreulich ist hingegen, dass selbst im kompakten M-Rahmen mit dem voluminösen Live-Valve-Dämpfer eine 590-ml-Trinkflasche Platz findet. Bei Modellen ohne Live Valve und in größeren Rahmengrößen dürfte sogar noch mehr Raum zur Verfügung stehen.
Der DJI Avinox Antrieb: Bekannte Stärke
Über den DJI Avinox Motor wurde bereits viel geschrieben. Er gehört zweifellos zu den besten Aggregaten am Markt. Die Leistungsentfaltung ist enorm, besonders im Turbo-Modus, und das Fahrgefühl ist dank der feinen Sensorik und der vielfältigen Einstellmöglichkeiten über die App exzellent. Features wie Smooth Shift in Verbindung mit Sram Transmission, also das Schalten ohne zu pedalieren, sind in der Praxis ein echter Gewinn. Die Elektronik nimmt beim Schaltvorgang zudem spürbar Drehmoment vom Antrieb, was die Komponenten schont und für weichere Gangwechsel sorgt.
Allerdings ist auch das DJI-System nicht perfekt. Bei unserem Testbike war in der Abfahrt ein leises Klappern aus dem Motorbereich zu vernehmen. Zudem wird der Motor unter hoher Last, etwa bei langen Anstiegen im Turbo-Modus, hörbar lauter als beispielsweise ein Bosch CX. Das Ökosystem rund um den Antrieb ist zudem noch nicht so ausgebaut wie beim Konkurrenten aus Reutlingen – es gibt beispielsweise nur eine Display-Option und eine begrenzte Auswahl an Akkugrößen (600 Wh und 800 Wh).
Die schiere Kraft des Motors, besonders im Turbo-Modus, wirft auch eine Frage der Trail-Etikette auf. Mit Geschwindigkeiten von bis zu 25 km/h Forstwege hochzufahren, ist technisch beeindruckend, kann auf belebten Wegen aber zu Konflikten führen. Hier ist die Vernunft des Fahrers gefragt. Im gemäßigten Automatik-Modus zeigte sich der Antrieb hingegen als effizienter und unauffälliger Begleiter. Für eine Tour mit rund 1300 Höhenmetern benötigten wir im Test etwa 50 % des 800-Wh-Akkus bei sportlicher Fahrweise – ein sehr guter Wert.
Moderne, aber bewährte Geometrie
Bei der Geometrie geht Crussis keine gewagten Experimente ein und trifft damit voll ins Schwarze. Mit einem Lenkwinkel von 64,5 Grad, einem Sitzwinkel von 77 Grad und Kettenstreben von 445 Millimetern liegen die Werte im Sweetspot für ein modernes All-Mountain-Bike. Unser Testrad in Größe M hat einen angegebenen Reach von 450 Millimetern, fühlte sich in der Praxis aber erfreulich geräumig an – fast schon wie ein kleines L. Fahrer, die zwischen zwei Größen stehen, sollten dies berücksichtigen und im Zweifel eher zur kleineren Größe tendieren. Die Sitzposition ist ausgewogen: komfortabel genug für lange Touren, aber aktiv genug für den engagierten Trail-Einsatz.
Ausstattung, Gewichte und Preise: Wo ist der Haken?
Crussis bietet das e-Full in verschiedenen Varianten an, deren Namensgebung allerdings etwas unübersichtlich geraten ist.
Die Modellpalette: Unübersichtlich, aber attraktiv
Die Nomenklatur (z.B. e-Full 12.11 Pro X) ist komplex. Grundsätzlich steht die „12“ für einen Carbon-Rahmen, die „11“ für ein Alu-Pendant. Es gibt drei Carbon-Modelle, deren Ausstattung sich deutlich unterscheidet. Während das Alu-Modell mit rund 4.500 Euro sehr günstig ist, muss man dort einige Kompromisse bei den Komponenten eingehen. Für 5.700 Euro erhält man bereits das günstigste Carbon-Modell, das mit einem Fox Performance Fahrwerk und einer SRAM GX Eagle Transmission Schaltung ein deutlich attraktiveres Paket bietet. Unserer Meinung nach ist das mittlere Carbon-Modell für rund 8.700 Euro der „Sweet Spot“ der Palette. Hier bekommt man bereits ein Fox Factory Fahrwerk, Carbon-Laufräder und eine XO Transmission.
Das Topmodell E-Full 12.11 Pro X im Detail
Unser Testbike für 12.000 Euro ist das absolute Topmodell und lässt kaum Wünsche offen. Eine Fox Podium Gabel, das elektronische Fox Live Valve Fahrwerk, eine SRAM XX Transmission und eine SRAM Maven Ultimate Bremse sind Komponenten, für die man bei anderen Herstellern sogar noch tiefer in die Tasche greifen muss.
| Rahmen | Crussis e-Full Carbon |
| Federgabel | Fox Podium |
| Antrieb | DJI Avinox |
| Akku | 800 Wh |
| Dämpfer | Fox Float X Live Valve Neo |
| Laufräder | FSA Gradient i30 Carbon |
| Reifen VR | Maxxis Assegai MaxxTerra EXO |
| Reifen HR | Maxxis DHRII MaxxTerra EXO+ |
| Schaltwerk | Sram XX Transmission |
| Schalthebel | Sram AXS Rocker |
| Kurbel | Sram XX |
| Umwerfer | Ohne |
| Bremse | Sram Maven Ultimate |
| Bremsscheiben | Sram HS 200 mm |
| Sattelstütze | Fox Transfer Neo |
| Sattel | Selle Royal |
| Vorbau | Race Face Turbine |
| Lenker | Race Face Turbine |
Der größte Schwachpunkt: Die Variostütze
Der mit Abstand größte Kritikpunkt an der Ausstattung des e-Full ist die Wahl der Variostütze. Unser Testrad in Größe M war mit einer Stütze mit lediglich 125 mm Hub ausgestattet. Laut Spezifikationsliste kommen selbst die größten Rahmen mit maximal 150 mm Hub. In der heutigen Zeit ist das für ein derart potentes Trailbike schlichtweg zu wenig und schränkt die Bewegungsfreiheit bergab unnötig ein. Die gute Nachricht: Der Rahmen bietet ausreichend Einstecktiefe für deutlich längere Stützen (im M-Rahmen passte problemlos eine 175er-Stütze). Es bleibt zu hoffen, dass Crussis hier bis zur Serienproduktion nachbessert.
Das Crussis e-Full 12.11 auf dem Trail
Auf dem Trail entfaltet das Crussis sein volles Potenzial und erweist sich als exzellenter Allrounder. Es ist kein reines Tourenrad, sondern ein Bike, das für den Trail-Einsatz gebaut wurde und dort zum Leben erwacht.
Uphill-Performance
Bergauf klettert das Rad souverän. Der Hinterbau bleibt auch ohne zugeschaltete Plattformdämpfung relativ ruhig, generiert aber vor allem exzellente Traktion. Er verhärtet unter Pedaleinfluss nicht übermäßig, was ihn auch in technischen Anstiegen komfortabel und aktiv hält. In Kombination mit dem kraftvollen DJI-Motor meistert das e-Full auch steilste Rampen mit Bravour.
Downhill und Handling
In der Abfahrt findet das Crussis eine beeindruckende Balance zwischen Laufruhe und Agilität. Es lässt sich verspielt durch enge Kurven zirkeln und animiert dazu, an Kanten abzuziehen. Trotz des 29-Zoll-Hinterrads fühlt es sich niemals sperrig an. Der Hinterbau mit 150 mm Federweg arbeitet hervorragend. Er spricht sensibel an, bietet guten Gegenhalt im mittleren Bereich und besitzt eine angenehme Endprogression, die Reserven für harte Schläge bereithält. Auf dem Spektrum zwischen Trailbike und Enduro würden wir es eher auf der agileren, verspielten Trailbike-Seite einordnen. Es vermittelt viel Sicherheit, will aber aktiv gefahren werden.
Das Live Valve System in der Praxis
Das elektronische Fox Live Valve Fahrwerk am Topmodell funktioniert fast schon beängstigend gut. Es passt die Dämpfung in Millisekunden an die jeweilige Fahrsituation an, macht auf glattem Untergrund zu für maximale Effizienz und öffnet sofort, wenn ein Schlag vom Vorderrad detektiert wird. Das System agiert wie ein „Cheat Code“ für den Hinterbau. Allerdings bringt es auch zusätzliche Komplexität mit sich: ein weiterer Akku, der geladen werden muss, die Notwendigkeit der App-Verbindung für die Konfiguration und eine gewisse Anfälligkeit für Verbindungsprobleme, wie wir im Test feststellten. Für Technik-Enthusiasten ist es ein faszinierendes System, wer jedoch maximale Einfachheit bevorzugt, wird mit dem konventionellen Fahrwerk der günstigeren Modelle besser bedient sein.











